Hanns, genannt der Pfeifer von Hardt, hat im Roman Lichtenstein eine
wichtige Rolle: Er ist für den Haupthelden Georg von Sturmfeder der
Verbindungsmann zu Marie und zur Burg Lichtenstein, aber auch zu
Herzog Ulrich. Er spielt diese Rolle souverän und intelligent mit einer
keinesfalls volkstümelnden Bauernschläue. Als Bauer und Spielmann
gehört er zum einfachen Volk, doch scheint er selbst mit dem Herzog auf
Augenhöhe zu verkehren – er ist sein Kundschafter und Beschützer, das
hebt ihn besonders heraus. An keiner Stelle des Romans lässt Hauff den
Pfeifer, im Unterschied zu dessen Frau und dessen Tochter Bärbele,
schwäbischen Dialekt sprechen. Seine Figur wird auch nie ironisch
gebrochen, so wie es fast allen anderen, eher ambivalent konzipierten
Romanfiguren erzählerisch widerfährt.
Manche Leser sehen im Pfeifer sogar den eigentlichen Haupthelden des
Romans, der in seiner Ausgestaltung dem Dichter auch am besten
gelungen sei. Schon einer der ersten Kritiker des Lichtenstein, Wolfgang
Menzel (1798 – 1873), schreibt 1826: „Dieß ist eine feste plastische
Gestalt, wahr und warm geschildert und ächt nationell“ (siehe Pfäfflin, S.
76-78).
Hanns, den Pfeifer, umgibt etwas Ernsthaftes, was mit seiner
Vergangenheit zu tun hat. Er möchte auch nicht „Pfeifer“ genannt werden,
weil „dieser Name sich mit Untat und Blut befleckt“ habe (Reclam, S. 114).
Erst kurz vor seinem Tod offenbart er Georg (und damit auch dem Leser),
was ihn „so ausschließlich und enge an den Herzog knüpft“ (Reclam, S.
379): Ein Erlebnis, das den Pfeifer zur Gefolgschaftstreue bis zur
Selbstaufopferung treibt und ein bezeichnendes Licht auf Herzog Ulrich
wirft, wenn er – ganz Willkürherrscher – mit einem Menschen grausam
spielt.
Die Erzählung des Pfeifers sei hier wiedergeben. Sie beginnt damit, dass er
Georg von der Verschwendungssucht am herzoglichen Hofe berichtet; wie
die Bauern immer mehr ausgepresst wurden und daraus der Aufstand des
„Armen Konrad“ entstand. Wie er, als einer der kühnsten Aufrührer,
zusammen mit elf anderen gefangen wurde. Dann enthüllt er sein
eigentliches Geheimnis, das er als „Wunder“ bezeichnet:
Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf
abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch
einmal vor sich führen. Jene elfe stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich rasselten, und schrieen mit jammernder Stimme um Gnade. Er
sah sie lange an und betrachtete dann mich. ‚Warum bittest du nicht auch?‘
fragte er. ‚Herr‘, antwortete ich, ich weiß was ich verdient habe, Gott sei
meiner Seele gnädig.‘ Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er
dem Scharfrichter. Sie wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der jüngste,
war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken;
aber nie vergesse ich den greulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten –
(…) Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der
Herzog: ‚Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her, und lasst die
drei dort würfeln!‘ Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich
aber sagte: ‚Ich habe mein Leben verwirkt und würfle nicht mehr darüber!‘
Da sprach der Herzog: ‚Nun so würfle ich für dich.‘ Er bot den zwei andern
die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel,
zitternd zählten sie die Augen; der eine warf neun, der andere vierzehn; da
nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins
Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf – und deckte schnell
die Hand darauf. ‚Bitte um Gnade‘, sagte er, ‚noch ist es Zeit.‘ ‚Ich bitte, daß
Ihr mir verzeihen möget, was ich Euch Leids getan‘, antwortete ich, ‚um
Gnade aber bitt ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.‘ Da
deckte er die Hand auf, und siehe er hatte achtzehn geworfen. Es war mir
sonderbar zumut; es kam mir vor als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich
stürzte auf meine Kniee nieder und gelobte fortan in seinem Dienst zu
leben und zu sterben. Der zehnte ward geköpft, wir beide waren
frei. (Reclam, S. 382f).
Hinweis zum vorherigen Text:
Die private Nutzung und die nichtkommerzielle Nutzung zu bildenden, künstlerischen, kulturellen und wissenschaftlichen Zwecken ist gestattet, sofern Quelle (Goethezeitportal) und URL (http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6633) angegeben werden.
Fotos: Album, Siegfried Bertsch / Holzelfingen Bearbeitung + eArchiv: Dieter Bertsch
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen