Montag, 26. September 2016

Um 1890: Aus dem Alltag der Menschen in und um die Lichtensteiner Teilorte (Teil 2)


Nachfolgend Auszüge aus der Beschreibung des Oberamts Reutlingen, 1893. Verfasst von Oberamtsarzt Dr. Steinbrück, Reutlingen sowie Anmerkungen des ehemaligen Gemeindearchivars von Lichtenstein, Paul Schweizer.

((Fortsetzung vom Vortag))

Der vermögende Bauer schlachtet im Winter 1 oder 2 Schweine. Bei dieser Gelegenheit gibt es die "Metzelsuppe"...

"... von großer Bedeutung, besonders bei der körperlich strenger arbeitenden Bevölkerung, nimmt das "Vespern" ein. Diese Mahlzeit fällt oft reichlicher aus als das Mittagessen. Zum Vesper wird Bier oder Most getrunken. Der Genuß von Obstmost verbreitet sich überhaupt immer mehr, auch in den nicht selbst Obstbau treibenden Gemeinden der Alb, jedoch nur als Haustrunk. Im Wirtshaus wird nur Bier, seltener Wein getrunken ...".

Sehr kritisch äußert sich der Oberamtsarzt - als Mann vom Fach - über die Kinderernährung.

" ... die allgemeine Erfahrung lehrt, daß das  Stillen häufig schon nach 2 - 3 Wochen aufgegeben wird und statt dessen, neben der Mutterbrust, den Kindern noch allerlei andere, häufig recht unzweckmäßige Nahrungsmittel gereicht werden. Es ist die irrige Meinung verbreitet, daß ein Kind bei flüssiger Nahrung allein nicht satt werden und gedeihen könne ...".

Bei einem Teil der Bevölkerung ... "werden eben Kinder nach alter Sitte von der ersten Lebenswoche an mit Mehlbrei "gestopft". Der Bequemlichkeit halber wird der Brei für den ganzen Tag vorausgekocht. Andere Kinder bekommen dicke Suppen von Milchbrot, Blechwecken und gewöhnlichen Wecken. Als günstig ist es schon zu bezeichnen, wenn ein neu geborenes Kind wenigstens mit unverdünnter Kuhmilch ernährt wird ...".

"... eine weitere Unsitte in der Kinderpflege besteht in der ausgedehnten Anwendung des  "Schnullers" bzw, "Schlotzers", der auf dem Land noch überall angetroffen wird und - wie die Leute sagen - eine Kindermagd einspart ...".

Aber bei Kindern wird betreffs der Ernährung nicht nur in den ersten Lebensmonaten gesündigt, sondern auch in späteren Zeiten. Viel zu früh lässt man diese am gemeinschaftlichen Tisch alles mitessen, was da aufgetragen wird. Sie werden an den Genuß alkoholischer Getränke gewöhnt und die Folgen können dann natürlich nicht ausbleiben. Die große Kindersterblichkeit gibt davon Zeugnis.

"... die Wohnungen auf dem Land sind einfach, fast durchweg Fachwerkbau ohne besondere architektonische Ausschmückung. Die Häuser meist einstockig, Stall und Scheune mit den Wohnräumen unter einem Dach. Die Wohnräume bestehen gewöhnlich nur aus Wohnstube und Kammer. Die Schlafkammer ist für die Eltern und für die kleineren Kinder. Die älteren Kinder schlafen in einer Nebenkammer oder auf der Bühne unter dem Dach. Für frische Luft in den Wohnräumen herrscht wenig Sinn. Die Fenster werden im Sommer so wenig geöffnet wie im Winter. Um so mehr ist das Wärmebedürfnis vorherrschend. Eine gut beheizte Stube trifft man im Winter selbst bei den ärmsten Familien an ...".

Bearbeitung + eArchiv: Dieter Bertsch

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