Unterhausen/Honau. "Schöner Wohnen?" Es gibt auch das Gegenteil. Im oberen Echaztal. Da mag das Haus selbst noch so gemütlich eingerichtet sein. Um ein Uhr morgens knallt erneut ein Kanaldeckel. Wieder ein Lastwagen.
Ein Ruf, ein Hüftschwung - und in aller Ruhe mit den Skiern zur Seite gefahren: Platz machen für das Automobil, das die Honauer Steige hoch will. Noch bis in die späten 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein war die Straße von Unterhausen über Honau auf die Schwäbische Alb eine Idylle - für Kinder und Anwohner. Honau war einst sogar Luftkurort. 1965 dann wurde die Straße zum Leidwesen der Anwohner verbreitert, mancher Vorgarten musste dran glauben.
Schon 20 Jahre zuvor jedoch bestand Interesse daran, einen neuen Albaufstieg zu bauen. In den 60er Jahren dann wurde es konkreter, in den 70ern einmal zum Greifen nahe, danach stritt man sich immer wieder über Trassenführungen. Und heute warten alle darauf, dass ein neuer Albaufstieg wenigstens in die bevorzugte Planung des Bundes aufgenommen wird.
Fünf Kilometer "hässlicher Wohnen" zwischen Dreck und Lärm. Und wieder war morgens um drei Uhr der Übeltäter ein Laster. "Solche mit leeren Containern und leere Autotransporter machen den meisten Krach", weiß Harald Glasbrenner aus Unterhausen, der die Malaise ja auch tagsüber erlebt. Da "wackeln dann die Kaffeetassen auf dem Frühstückstisch". Glasbrenner (72) ist an der Straße geboren, lebt heute noch in seinem Elternhaus. Ernst Weißschuh (63), der seit seiner Kindheit in Honau lebt, weiß, weshalb es nachts besonders laut knallt. Die Kanaldeckel waren ja eigens so positioniert worden, dass bei "normalem Gegenverkehr" eigentlich niemand drüber fährt: "Aber in der Nacht fahren viele Laster in der Mitte der Straße - über die Kanaldeckel", so Weißschuh.
Karl Häbe (74) aus Honau war einst Gemeinderat und hat die Diskussionen um die ungeliebte Straße im Rathaus stets hautnah miterlebt. "Wir bekamen sogar schallisolierte Fenster bezahlt, aber die kann man beim besten Willen nicht aufmachen, es ist zu laut." Häbe weiß um den Wertverlust der Immobilien, "und zu vermieten sind die auch kaum." Bis heute stehen allein in Unterhausen rund 30 Häuser leer.
Schlimm gebeutelt wurden Unterhausener und Honauer auch stets durch den Winterdienst. In Zeiten, als die Autos noch richtige Dreckschleudern waren, wurde quasi "schwarzer Schnee" von der Straße oft meterhoch auf die Hausfassaden geworfen, in den Gärten wuchs im Frühjahr nichts mehr.
Hans Gerstenmaier (61), ein Nachbar von Ernst Weißschuh, machts bildlich: "Diese Straße zieht sich wie ein rostiger Nagel durch beide Ortschaften. Aber wegziehen wollen die Älteren nicht mehr."
Der Unterhausener Harald Glasbrenner setzt noch eins drauf: "Da hat man oft den Eindruck, wir sind der dreckigste Ort im Land." Und Heinz Reiff (80), der in Honau immerhin "zweite Reihe" wohnt, hat auch davon wenig. An der Steige, gleich nach der ersten Kurve, testen Motorradfahrer ihre Bikes. Reiff und seine Nachbarn kommen zudem wegen des unübersichtlichen Kurvenverlaufs selten ohne Not von ihrer Straße auf die B 312.
Rund 70 Euro Autobahnmaut sparen Brummipiloten, die, vom Bodensee kommend, nicht den "Umweg" über Hegau und die A 81 in den mittleren Neckarraum fahren, sondern die "Flatrate" nutzen, also kostenlos - über Riedlingen (B 312) und das Echaztal nach Reutlingen brettern. Und der Tourismus ist ein weiterer Faktor, bei den Steuereinnahmen, aber eben auch für Anwohner. Bis zu 25 000 Fahrzeuge pro Tag werden hier gezählt. Das ist der Alb-Tourismus der Stuttgarter - hoch über Honau thront schließlich das Märchenschloss Lichtenstein.
Im Tal finden sich zwei renommierte Forellenhöfe, das Hauff-Museum und eines der bezauberndsten - weil diskret angesiedelten - Freibädern des Landes. Daneben ist das Seniorenzentrum Martha Maria. Dahinter fuhr bis 1969 die Zahnradbahn auf die Alb.
Werner Nedele (78) aus Honau fasst zusammen: "Jede große Veranstaltung auf der Alb führt bei uns im Tal zum Verkehrschaos." Hinzu komme nun noch die wachsende Attraktivität des Biosphärengebiets.
Diese fünf Kilometer Unterhausen-Honau: Ist das nun "hässliches Wohnen"? Ja, aber sie haben sich dran gewöhnt, sagen die älteren Herren. Eine neue Straße hinauf auf die Alb, das wärs. Am 10. November wird wieder einmal über die aktuellen Planungsschritte berichtet. So wie einst schon vor 40 Jahren.
"Seniorentreff" zum Thema Straßenlärm: Sie alle wohnen fast schon ihr Leben lang an der ungeliebten B 312 (von links): Harald Glasbrenner, Heinz Reiff, Karl Häbe, Hans Gerstenmaier, Werner Nedele und Ernst Weißschuh. Fotos: Jürgen Herdin
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Hans Gerstenmaier
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http://www.swp.de/reutlingen/lokales/reutlingen/Rostiger-Nagel-mitten-durch-den-Ort;art5674,1198220,A
Dieser Bericht von Jürgen Herdin wurde dem Internet-Bericht der Südwestoresse
entnommen.
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