Samstag, 1. Januar 2011
Lichtensteinfestspiele 1902
Original Plakat von 1902 zu den Lichtenstein-Festspielen
Unser Mitglied Berthold Hartstein hat dem GHV ein Plakat aus dem Jahr 1902 zu den einstigen Festspielen in Honau überlassen. Das 108 Jahre alte Plakat hat die Zeit recht gut überstanden, wohl weil es die meiste Zeit aufgerollt und Lichtgeschützt in einem Schrank oder einer Kiste zugebracht hat. Ein kleineres Loch am unteren Rand konnte recht gut restauriert werden, weil noch alle Schnipsel vorhanden waren. Dieses Plakat entstand im zweiten Jahr der Festspiele 1902 anlässlich des 100. Geburtstag von Wilhelm Hauff. Die Festspiele wurden insgesammt 3 Jahre von 1901 bis 1903 abgehalten.
Weil das Plakat etwas ganz besonderes ist, soll zu dessen Abrundung ein kleiner Beitrag an die einstigen glanzvollen Tage in Honau erinnern.
Der Roman Lichtenstein von Wilhelm Hauff, der Grundlage zu den Lichtensteinspielen war, inspirierte einst den kunstsinnigen Grafen Wilhelm von Württemberg schon zum Bau des Schloß Lichtenstein, das in den Jahren 1839 bis 1842 nach den Plänen Heideloffs in frühgotischem Stil entstand. Jahrzehnte später hatte der Gastwirt J. Ziegler, der auch Entdecker einer Tuffsteingrotte, der Olgahöhle war, die Idee zu einem Festspiel nach Hauffs Roman. Allerdings erst Jahre später half ein Zufall seine Gedanken in die Tat umzusetzen, als der Schauspieler und Regisseur Rudolf Lorenz aus Halle an der Saale, anlässlich einer Kur in Honau weilte. Lorenz, der bereits früher ein deutsches Volksspiel verfasste und mit Dilettanten zur Aufführung gebracht hatte, war von der Idee begeistert. So schuf er dann bald das Spiel Lichtenstein in neun Akten. Durch die Beziehungen Ziglers zu Rittmeister Laiblin Pfullingen und Kommerzienrat Ziegler Reutlingen wurden Geldgeber für das Vorhaben gefunden und im Herbst 1900 wurde ein Festspielkommitee gegründet. Der Herzog von Urach übernahm sodann das Protektorat über die Festspiele. Mit vollem Eifer ging es nun an die Arbeit und im März 1901 wurde mit dem Bau der Festspielhalle in Honau begonnen.
Das Festspielhaus wurde nach Plänen von Bauinspektor Kemper in Reutlingen, im Stil einer mittelalterlichen Burg durch die Reutlinger Zimmergeschäfte G. Eisele, G. Lachenmann und Gebr. Zwerenz ausgeführt. Nur wenige Schritte von der Olgahöhle entfernt erhob sich das stolze, von einem 23m hohen Turm gekrönte Bauwerk, das an den Seiten von zwei kleineren Türmen abgeschlossen war. Durch ein breites Mitteltor gelangte man in einen Gang, der links und rechts an den Garderoben und der Sanitätsstation vorbei in die beiden Seitentürme führte. Von dort gelangte man in den geräumigen Burghof, dessen 1500qm umfassende, amphitheatralisch aufsteigende Grundfläche mit 2000 Stühlen ausgestattet war. Im Mittelturm befand sich die Königsloge, an der sich links und rechts die übrigen Logen mit 200 Sitzplätzen anschlossen.
Das Bühnenhaus wurde ebenfalls im gleiche Stil gehalten und von Kunstmaler Hummel bemalt. Die Derkorationsarbeiten wurden durch Tapezierer Kurz aus Reutlingen ausgeführt. Die 9m hohe und 15m breite Bühnenöffnung konnte durch einen Vorhang geschlossen werden. An den eigentlichen Bühnenraum, der 200 qm groß war, schlossen sich die Garderoben für die Darsteller, ein Foyer mit Büffet, eine Requisitenkammer und das Derkorationsmagazin an. Das Problem der Bedachung des Zuschauerraumes wurde von Ingenieur Hogo Laißle, Reutlingen elegant gelöst. Da man den Zuschauern den Blick auf die Berge und Schloß Lichtenstein nicht nehmen wollte, wählte man als Bedachung ein den ganzen Zuschauerraum bedeckendes Segeltuch, das von Drahtseilen getragen wurde und teilweise zurückgeschlagen werden konnte.
Das Bild zeigt die Vorderansicht der Spielhalle mit den drei markanten Türmen. Sonntag für Sonntag während der Spielzeit strömten wahre Völkerwanderungen in das Echatztal hinauf nach Honau. Das Bähnle hatte verstärkten Extraverkehr und auch Sonderzüge von Stuttgart waren keine Seltenheit. Viele Besucher kamen zu Fuß über die Berge, von der Hochalb auf Leiterwagen oder mit dem Fahrrad das Tal herauf. An manchen Sonntagen mussten sogar zwei Aufführungen, eine um 11 Uhr vormittags und eine weitere um 3 Uhr nachmittags veranstaltet werden. Vor den Spielhallen waren große Restaurationszelte (wie auf obigem Bild sichtbar) aufgeschlagen, in denen Erfrischungen aller Art gereicht wurden. Auf dem mit Fahnen und Wimpeln geschmückten Vorplatz entwickelte sich ein volksfestähnliches Treiben. Die biederen Honauer, die anfangs gar nicht gut zur Theraterspielerei standen, machten nun vergnügliche Gesichter und die Wirte ein glänzendes Geschäft. Oft kam es vor, dass im ganzen Ort nichts Essbares mehr aufztreiben war, so dass auch die Wirte von Oberhausen und Unterhausen noch reichlich profitierten. Anzumerken wäre noch, dass im Jahre 1902 der Bahnhof Honau ein Verkehrsaufkommen mit 111 406 Personen hatte. Damit lag Honau auf Platz 112 von 496 Stationen des Landes
Schon während der Bauzeit der Festhalle wurde mit den Proben zu den Aufführungen begonnen. Die Schauspieler, allesamt Laien wurden über Zeitungsanzeigen in den Tageszeitungen gesucht. Interessierte sollten sich zu bestimmten Terminen in einer Wirtschaft in Reutlingen vorstellen. Die Spielgenossenschaft bestand aus nahezu 150 Personen beiderlei Geschlechts und den verschiedensten Berufen angehörend. Die Jüngsten waren um 16 bis 18 Lebensjahren und von hier ging es durch alle Lebensalter hinauf bis zum ältesten Darsteller mit zu dieser Zeit erstaunlichen 71 Jahren. Die Darsteller kamen aus 12 Orten der Lichtensteingegend, vornehmlich aber aus Reutlingen, Pfullingen, Großengstingen und Einzelne aus Eningen, Gönningen und aus Bleichstetten der Lehrer Schänzle. Aus Honau beteiligten sich unter Anderen der Mitbegründer Johann Ziegler, Gustav Ludwig, Heinr. Katzmaier, Karl Ludwig und Kaufmann Kißling. Jede Rolle war zweifach, teilweise sogar dreifach besetzt. Alle Darsteller waren über das Spiel in so hohem Maße begeistert, dass die Spielleitung die Mitspieler mit leichter Mühe zu den vielen Proben zusammenhalten konnte. Welche für viele, namentlich die auf der Albhochfläche wohnenden mancherlei Beschwerden mit sich brachten.
Um eine kleinen Eindruck von den Spielen zu erlangen, hier die Beschreibung der Spielscene im "Hirsch" zu Pfullingen: Der Bramarbas Calmus hat in Gegenwart der gut herzoglich gesinnten Pfullinger Bürger gar weidlich auf Ulrich, den vertriebenen Herzog, geschimpft. Da tritt ihm plötzlich der als Gast anwesende und als Krämer verkleidete Ritter Marx Stumpf von Schweinsberg entgegen und droht dem Prahlhans, falls er nicht augenblicklich das Maul halte, "seine langen Rührlöffelarme" vom Leibe zu schlagen. Eben ist auch Georg von Sturmfeder, geleitet von der geschwätzigen Hirschwirtin eingetreten, um hier auf dem Wege zum Lichtenstein Rast zu halten. Georg kann gerade noch sehen, wie Calmus eingeschüchtert durch das energische Auftreten Marx Stumpfs, zum Gaudium der Pfullinger schleunigst das Weite sucht.
Die Verteilung der Rollen wurde so eingerichtet, dass zum Beispiel der Vorgang im "Hirsch" zu Pfullingen durchweg von Angehörigen des regsamen Industriestädtchens Pfullingen dargestellt wurde. Wodurch man in diesem Akt, der teilweise im Dialekt gegeben werden musste, das reine und unverfälschte Pfullinger Schwäbisch zu hören bekam und die Handlung einen ganz eigenartigen Reiz erhielt.
Von Pfingsten ab bis zum Herbst wurden die Spiele in den Jahren 1901 bis 1903 alljährlich an 12 Sonntagen aufgeführt. Jedes Jahr fand auch eine Königsvorstellung statt, die mit einem vom württembergischen Trachtenverein veranstalteten Trachtenfest verbunden war. Wenn der König zu den Spielen kam - es war immer an einem Wochentag - machte die ganze Gegend Feiertag. Kein Geschäft im Echaztal hatte geöffnet, auch in Reutlingen machte alles die Läden dicht und wallfahrtete nach Honau wo auf der Steige die Festwagen der Trachtengruppen aufgestellt wurden. Das Züglein brachte den König und seinen Hofstaat zur Station Lichtenstein, dort empfieng der Herzog von Urach die hohen Herrschaften und fuhr mit ihnen auf den Lichtenstein. Bei der Rückfahrt ins Tal besichtigte der König die auf der Steige aufgestellten Wagen und nahm dann in der Königsloge der Festspielhalle Platz.
Zu den Lichtensteinspielen konnte man auch gedruckte Führer erwerben, die das Echaztal, Reutlingen und Pfullingen sowie die Spiele selbst genau beschrieben. Ausserdem gab es auch kleine Bücher in denen sämtliche Auftritte mit ihren Texten genau aufgeführt wurden.
Natürlich gab es auch viele Postkarten zu Honau und den Festspielen. Sowie eine Postkartenserie die Ansichten der Spielhalle und Spielscenen zeigte, vom Verlag der offiziellen Ansichtskarten des Lichtensteinspiels J. Kocher in Reutlingen.
Am Beispiel des 8. Vorgang, 2. Auftritt soll gezeigt werden wie einst diese Postkarten entstanden. Zunächst wurden die Schauspieler in entsprechender Pose auf der Bühne aufgestellt und notfalls wenn einer zu klein war fachgerecht unterlegt. Fotografiert wurde die Scene dann auf beschichtete Glasplatten die ca. 13 mal 18 cm groß waren. Die Belichtung der Glasplatten war nicht einfach und erforderte viel Erfahrung. Weil die damaligen Glasplatten relativ unempfindlich waren bedurfte es langer Belichtungszeiten, in denen sich die Darstellen nicht bewegen durften. Was oft genug auch nicht gelang und nur erst später nach der Entwiklung sichtbar wurde. Von der entwickelten und oft vorher retuschierten Glasplatte wurden Kontaktabzüge erstellt, Vergrößerungen waren zu dieser Zeit noch nicht üblich, aus denen nun die Darsteller ausgeschnitten wurden. Dieser Scherenschnitt wurde dann auf die, in diesem Fall, gemalte Höhle aufgeklebt und wieder abfotografiert auf eine Glasplatte. Auf dieser wurde wieder was nicht gefällt retuschiert, teilweise die Darsteller mit anderen Hüten versehen und wieder ein Kontaktabzug erstellt. Wenn nötig wurde auch auf den Kontaktabzügen retuschiert oder die Fotoschicht auf den Glasplatten abgeschabt. Das Verfahren hatte den Nachteil, dass bei jedem Abfotografieren der Abzüge das Bild schlechter wurde, was man den Bildern auch deutlich ansieht. War alles gut, wurde eine Vorlage für die Druckerei erstellt.
Man wird sich fragen, wie es kam, dass eine so schwungvoll begonnene und offensichtlich erfolgreiche Sache schon nach drei Jahren wieder aufhörte. Trotz ausverkaufter Häuser und allseitiger Förderung hatte sich nach drei Spieljahren ein ansehnliches Defizit ergeben. Dies führte zu persönlichen Verstimmungen im Komitee und die Festspielhalle wurde auf Abbruch verkauft. Damit war auch Honaus glanzvolle Zeit vorbei.
-----------------------------------
Der Text entstammt einem Bericht vom 12. Mai 1951 des General Anzeiger, "Aus Honaus glanzvollen Tagen" sowie einer Beschreibung von Hermann Streich, "Die Lichtenstein-Spiele in Honau" aus dem Verlage von J. Kocher in Reutlingen.
Bei den Postkarten und Führern handeld es sich um Originale aus meiner Sammlung. Bei den Bildern um Kontaktabzüge von den original Glasplatten aus damaliger Zeit, die mir einst Frau Ziegler aus Pfullingen ermöglichte.
Rainer Hipp
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
legitime Nachfolger sind die Honauer Zwiebelbäuche, die zu Ihren Theaterabenden recht herzlich einladen.
AntwortenLöschenWer legitimiert sie?
AntwortenLöschenTolle Abhandlung, Herr Hipp!(Umso wertvoller da von einem Nicht-Honemer)
AntwortenLöschenDieses zeigt, warum "mir Honemer" noch heute in "nicht gebeugter Haltung" durch Hausa,Pfullingen und Reutlingen, ja durch's ganze "Ländle" gehen. Es zeigt sich bei mir zugegebener Maßen vielleicht "manchmal" etwas deutlicher, da mein Urgroßvater (Pfullinger!) zu den Mitorganisatoren zählte...
Allerdings die Ausführung im GEA-Bericht... "Damit war auch Honaus glanzvolle Zeit vorbei"... kann nicht bestätigt werden, ja muss sogar widersprochen werden. Letztes Jahr hat z.B die Veranstaltung "Kunst im Tuffsteinkeller" an die Lichtenstein-Festspiele angeknüpft und "Hona" in Presse, Funk und Fernsehen ins rechte (Sonnen-)Licht gerückt.
Wer weiß schon, was in 100 Jahren in einem GEA-Rückblick steht...
Hans Gerstenmaier, Honau
Gigantische Dokumentation!!!
AntwortenLöschenzu "wer legimitiert sie ?" LEGITMATION: In der Soziologie die Rechtfertigung faktisch bestehender Ordnungen, Regeln und Herrschaftsformen, vergleiche Legitimität.
AntwortenLöschen... machen doch gutes, "handgeschabtes" Honauer Theater....
Übrigens: SUPER BEITRAG, von Herrn Hipp
Wir brauchen keine Legitimation von irgend welchen, sondern Helfer, die Freitag abends uns im Geschichts- und Heimatverein "Lichtenstein" solche Themen mit aufarbeiten helfen.
AntwortenLöschenDanke Rainer!
Lieber Herr Gerstenmaier, viel wichtiger als das, was in 100 Jahren im GEA stehen wird, ist das, was hier im Blog zu lesen sein wird. Wahrscheinlich feiert man dann Rainer Hipps Dokumentation.
AntwortenLöschenAnsonsten: Regt euch nicht künstlich auf...
Ein klasse Beitrag! Danke.
AntwortenLöschenpw