Donnerstag, 21. Juli 2016
1924: Unterhausens neue Friedhofsanlage "Auf der Halde".
Der Reutlinger Oberamtsbaumeister Staiger hat in einer bemerkenswerten Broschüre, im Jahr 1924, die Planung und Realisierung des neuen Friedhofs "Auf der Halde" festgehalten. Auszugsweise nachfolgend die Textpassage zur ehemaligen Aussegnungshalle - im Folgenden als Kapelle benannt (siehe obiges Foto):
In der Achse der mittleren Terrasse, ist die Kapelle errichtet. Diese Lage wurde einerseits bestimmt durch die Absicht, die Trauerversammlung beim Verlassen der Halle den angedeuteten Eindruck der Landschaft empfangen zu lassen, andererseits durch die Notwendigkeit ein so hohes Untergeschoss zu erlangen, das Raum bietet für die Unterbringung des Leichenwagens und der Geräte des Totengräbers. Sodann aber auch von der Notwendigkeit, dem neuen Zufahrtsweg eine solche Längenentwicklung zu geben, dass er von seinem Beginn am Bahnübergang bis zum Friedhofstor nicht mehr als 10 Prozent Steigung erhält. Das Gebäude enthält außer den erwähnten Untergeschossräumen im Erdgeschoss gegen Süden eine offene, mit Bänken versehene Vorhalle, einen Versammlungsraum, gegen Norden eine normale und eine besonders große Leichenzelle, letztere für Sektionen bestimmt, aber so angeordnet, dass sie im Notfall durch eine bewegliche Bretterwand in zwei normale Zellen geteilt werden kann. Außerdem Aborte für Männer und Frauen. Der freie Platz vor der Halle ist mittels einer Stützmauer auf die für eine größere Trauerversammlung erforderliche Breite gebracht. Zu diesem Platz führt eine bequeme, steinerne Treppe empor, die ebenso wie die Stützmauer mit einem starken, eichernen Balkengeländer versehen ist, dass es dem Zahn der Zeit lange trotzen wird. An dem Podest dieser Treppe ist ein von Trauerweiden beschatteter laufender Brunnenn vorgesehen.
Der bemerkenswerteste Raum des Gebäudes ist der Versammlungsraum. Man betritt denselben von der auf flachen Spitzbögen ruhenden und mit sichtbaren, einfach getönten Balkendecke versehenen Vorhalle aus durch eine Doppeltüre und ist überrasscht von der an alte gotische Kapellen der besten Zeit erinnernde Farbwirkung des Raumess, dessen Abmesssungen genügen, um in normalen Fällen die Trauergemeinde aufzunehmen. Die Rückwand enthält die Türen zu den Leichenzellen, an den Seitenwänden befinden sich in den Nischen, unter den gekuppelten, dreifachen Fenstern, bequeme Sitzbänke, ebenso in den Nischen rechts und links der Eingangstüre. Die von zwei Unterzügen auf geschweiften Sattelhölzern getragene sichtbare Balkendecke ist ganz in Blau, Rot und Silber gehalten und erzeugt eine würdige kirchliche Stimmung. Die Diagonalbemalung der Balken mit der markanten Betonung der Mittelachse ergibt eine ausgezeichnete Steigerung der perspektifischen Raumwirkung und leitet auf das Mittelfeld der Rückwand hin, das mit einer zarten roten und grünen Tönen dargestellten symbolischen Totenerweckung Christi bemalt ist. Das Gemälde ist im Aufbau modern empfunden, ist aber infolge seiner natürlichen Formgebung trotzdem für jedermann verständlich und übt eine starke Wirkung aus. In einer Felsengruft, die wegen der beschränkten Höhe der verfügbaren Wandfläche geschickt zwischen den beiden Zellentüren versenkt ist, ruht eine zarte Jungfrau, noch umschnürt von Leichentüchern und Bändern, die staunenden Augen weit geöffnet, Oberkörper und Arme empor gehoben durch die unwiderstehliche Kraft des über ihr am Rande der Gruft stehenden Lebensfürsten, der den Sieg davongetragen hat und dessen Züge von dem heiligen Ernst und der Größe des Augenblicks Zeugnis ablegen. Zu beiden Seiten der Gruft die Angehörigen und Leidtragenden, deren Mienen und Gesten die durch das Wunder hervorgerufenen seelischen Gefühle andeuten, das zweifelnde Staunen, die sich bescheidende Ergebenheit, dem starken Glauben, die mahnende Liebe, das jubelnde Glück. Im übrigen sind die Wände in einem warmen Ockerton gehalten und mit Sprüchen, die mit dem freien Pinsel geschrieben sind, sowie mit einfachen Initialen geschmückt. Der Raum, desssen Verhältnisse sehr glücklich gelungen sind, ist geeignet, eine beruhigende, tröstende und hoffnungsstärkende Wirkung auszuüben.
Die Umfassungswände des Gebäudes sind aus dem im Tal heimischen Tuffstein ausgeführt. Diesem Material entsprechend ist auf alle feinere Gliederung durch Gesimse usw. verzichtet und lediglich durch ruhige, wohlabgewogene Verhältnisse zu wirken versucht worden. Das Gebäude ist überdeckt mit einem einfachen Walmdach mit stark betontem Dachbruch, es ist mit tiefen, altfarbig engobierten Pfannen gedeckt und bringt das ganze Gebäude in eine glückliche Harmonie mit den einfachen großen Formen der umgebenden Natur.
Text: Oberamtsbaumeister Staiger / Reutlingen / 1924 Bearbeitung + eArchiv: Dieter Bertsch
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