Sonntag, 25. September 2016

Um 1890: Aus dem Alltag der Menschen in und um die Lichtensteiner Teilorte (Teil1).


Nachfolgend Auszüge aus der Beschreibung des Oberamts Reutlingen, 1893. Verfasst von Oberamtsarzt Dr. Steinbrück, Reutlingen sowie Anmerkungen des ehemaligen Gemeindearchivars von Lichtenstein, Paul Schweizer:

"Der Menschenschlag wird als kräftiger und ausdauernder, ja zäher, von meist Mittelgröße und stämmiger, untersetzter Statur bezeichnet. Wohlbeleibtheit wird, auf dem Land wenigstens, nur selten gefunden.
Einzelne Unterschiede sind weniger auf die Bodenverhältnisse als auf die vorherrschende Beschäftigung zurückzuführen, insofern, als in denjenigen Ortschaften, deren Einwohner zum größten Teil in Fabriken beschäftigt sind, der Menschenschlag als ein entschieden schwächlicherer, zarterer und mehr zu Krankheiten disponierter ist, als in Bezirken mit vorwiegend landwirtschaftlicher Beschäftigung. Dementsprechend sind auch die Resultate bei der Aushebung (Musterung): Die Gemeinde Unterhausen, in welcher die Mehrzahl der jüngeren, männlichen Einwohner von frühester Jugend an in Fabriken beschäftigt ist, liefert z.B. schon seit Jahren relativ am wenigsten tüchtige Soldaten."
Eine gewisse Begründung für dieses "Manko  an tüchtigen Soldaten" findet man in den Ausführungen über die Beschäftigung der Bewohner. Hier wird u.a. gesagt: "Auch wird nicht selten in der Richtung gesündigt, daß die Eltern ihre Kinder viel zu früh zur Fabrikarbeit anhalten; kaum sind sie 14 Jahre alt und der Schule entwachsen, so müssen sie "Geld verdienen".

Im Charakter und Temperament haben sich damals deutliche Unterschiede zwischen Stadt und Land gezeigt: "Die ländliche Bevölkerung, besonders die Älbler, sind nüchtern, ernst und still, in sich gekehrt und zurückhaltend, etwas schwerfällig im Umgang, besonders Fremden gegenüber. Es herrscht Bitterkeit, Sparsamkeit und große Arbeitslust. Überall findet man auf dem Land tief religiösen Sinn, der aber leicht auf Abwege führt und in Pietismus und Sektiererei ausartet ...".

"... der Wirtshausbesuch ist bei der ländlichen Bevölkerung sehr mäßig und gar manches Bäuerlein kommt nur, wenn es auswärts in die Stadt geht oder bei besonderen Gelegenheiten dazu (Hochzeit, Leichenschmaus). Andere gehen regelmäßig am Sonntagnachmittag auf einige Stunden hin, sind aber um 5 oder 6 Uhr zum Tränken und Füttern des Viehs schon wieder Zuhause. Nur die "Ledigen" erlauben sich hin und wieder einen längeren Wirtshausaufenthalt. Eigentliche Trunkenheit ist selten ...".

"... in den ländlichen Gemeinden ist die Ernährungsweise sehr einfach, oftmals kärglich. Sie ist fast rein pflanzlich, Fleisch ist ein Luxusartikel und kommt in manchen Familien wochenlang nicht auf den Tisch. Die Hauptnahrung besteht aus Kartoffeln, von welchen oft unglaubliche Mengen vertilgt werden. Weiterhin Mehlspeisen ("Spätzle"), Gemüse, Hülsenfrüchte und im Sommer grüner Salat. Daneben wird viel Milch und Kaffee getrunken. Der Kaffee hat sich zwischenzeitlich in allen Haushalten durchgesetzt, nicht nur zum Frühstück, sondern häufig auch als Abendessen, gewöhnlich mit Kartoffeln zusammen in der Tasse wird ausgelöffelt...".
"... die Qualität des Kaffees ist meist eine sehr fragliche, es werden dazu mehr Surrogate als Kaffeebohnen verwendet. Die Herstellung erfolgt aus gewürfelten Zuckerrüben und Gelbrüben. Diese werden auf dem Ofen gedörrt, dann gemahlen und in Verbindung mit einem Minimum wirklichen Kaffeemehls aufgekocht ...".

((wird fortgesetzt))

Bearbeitung + eArchiv: Dieter Bertsch

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